The Assistant (2019) (2025)

Während eines langen, kräftezehrenden Arbeitstages beginnt eine Assistentin einer Filmproduktionsgesellschaft die missbräuchlichen Strukturen in der Medienbranche zu durchschauen.

Eine Filmkritik von

Karsten Munt

Diskussion

1 Kommentar

Es ist noch Nacht, als Jane (Julia Garner) in das Auto steigt, das sie zur Arbeit bringt. Einige Stunden später, als die ersten Mitarbeiter im Büro auftauchen, scheint es noch immer nicht richtig hell zu sein. Im Büro der Filmproduktion bricht der Tag nie wirklich an. Zwischen den bunten Frühstücksflocken, von denen Jane kaum zwei Löffel schafft, bevor sie zurück an den Schreibtisch muss, und dem alten Muffin, den sie am Ende des Tages aus der Plastikfolie schält, liegen endlose Stunden im fahlen Licht der Leuchtstoffröhren, durch das die Silhouetten der Angestellten geistern.

Eine Landschaft bedrückenden Schweigens

Das Büro ist eine Landschaft des bedrückenden Schweigens. Nur zwei private Sätze werden an diesem Arbeitstag getauscht, der die gesamte Länge des Films absteckt. Dann geht es zurück an die Arbeit: Termine bestätigen, Drehbücher zusammenheften und nebenbei als Kindermädchen einspringen. Dabei muss jeder Handgriff sitzen, jede Anfrage korrekt formuliert sein; alles muss mit dem richtigen, angebrachten Tonfall bedient werden. Die Solidarität der männlichen Assistenten reicht dabei nicht über das Diktieren von Entschuldigungs-E-Mails hinaus. Lieber reden sie kollegial daher, bevor sie den Anruf der Ehefrau des Chefs an Jane weiterleiten. Hier trifft die Assistentin das erste Mal nicht den perfekten Ton. Wenig später ruft der Chef höchstpersönlich an.

Das Telefon filtert die Flüche, Drohungen und Herabwürdigungen, die Jane über sich ergehen lässt. Der Filmmogul selbst bleibt unsichtbar. Die Inszenierung von Kitty Green streut seine Spuren über den Alltag der Assistentin: Porträts von jungen Schauspielerinnen, die der Drucker ausspuckt; das goldene Armband, das unter der Couch liegt; die Blutverdünnungspillen und Spritzen, die Jane mit medizinischen Abfalltüten einsammelt, und der riesige Bürostuhl, der als bedrohliche Präsenz immer wieder in den Bildausschnitt hineinragt.

Misogynie als System

Der Sexismus hat hier kein Antlitz: „The Assistant“ braucht kein Abbild eines grausamen Filmmoguls, keine widerliche Tat, keine Erzählung eines Nachspiels, nicht einmal eine Täter-Opfer-Dynamik. Green arbeitet sich mit großer visueller Konzentration zum Kern des repressiven Systems vor. Es gibt nicht den einen Täter, keine homogene Gruppe finsterer Typen. Misogynie ist hier keine geheime Weltverschwörung von Proleten in weißen Unterhemden, die sich auf ein Bier treffen, nachdem sie ihre Frauen geschlagen haben. Ein ganz normaler Arbeitstag führt das Thema der Frauenverachtung weg von den Einzeltätern, um die sich das mediale Echo und auch der aufgeladene Teil des öffentlichen Diskurses in Zuge der #MeToo-Debatte rankt, hin zu einem tief in die Arbeits- und Gesellschaftsstrukturen eingesickerten System.

Unter der Last dieses normalen Arbeitstags beginnt Jane die Macht- und Missbrauchsstrukturen zu verstehen, die hinter ihrem Arbeitspensum, den kumpelhaften Kollegen, den gesichtslosen Silhouetten und der geisterhaft-bedrohlichen Präsenz des Chefs verborgen liegen. Die Einsicht blitzt auf, als Jane beobachtet, wie eine sehr junge, sehr hübsche, sehr unerfahrene Kollegin nicht nur einen Assistentenjob angeboten bekommt, sondern auch noch ein Hotelzimmer, dass der Chef kurz darauf persönlich besucht.

Mit dem begründeten Verdacht versucht Jane auf dem „Dienstweg“ eine Beschwerde einzureichen. Das Gespräch mit dem zuständigen Mitarbeiter offenbart aber schnell, dass sein Job keine Hilfe gegen den Machtmissbrauch bietet, sondern Teil des Apparats ist. Der Mann schreibt ihre Beschwerde auf, telefoniert zwischendurch mit einem Kollegen, liest die Beschwerde noch einmal vor und zerreißt daraufhin den Zettel, auf dem sie notiert ist. „Wollen sie weiter hier arbeiten?“, ist seine letzte Frage, bevor er eine große Packung Kleenex in Janes Richtung schiebt. Diskussion beendet. Zurück zum Schweigen, zurück an die Arbeit.

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Romain Antony | 21.11.2023

Einräumen von Nachfüllmaterial, Kopieren, Zusammenheften, Verteilen von Dokumenten an Chef und Mitarbeiter, Botengängen, Telefonate, Geschirr wegräumen, Spülen, den Besprechungsraum aufräumen sind unter anderem die alltäglichen Aufgaben und Bürotätigkeiten der Assistentin (Julia Garner). Den Unmut ihres Vorgesetzten muss sie über sich ergehen lassen, weil sie in einem Telefonat mit dessen eifersüchtigen Ehefrau zu empathisch reagiert hart. Sie entschuldigt sich mit einer unterwürfigen Mail. Als ihr eine junge, fachlich unqualifizierte junge, attraktive Frau zur Seite gestellt wird, ahnt sie, dass die junge Frau Sexualobjekt und Geliebte des Vorgesetzten werden soll. Ihre Versuche, diese für sie offensichtliche sexuelle Übergriffigkeit in der Firma offenzulegen und beim Personalleiter zu melden, verlaufen ergebnislos. Der Personalverantwortliche nimmt ihre Beschwerde nicht an, stellt subtil ihren Verbleiben in der Firma in Frage, falls sie die Beschwerde aufrecht halte. Eine neutrale Anlaufstelle, eine Whistelblowerschutz hat gefehlt. Der Film schildert in zahlreichen Büroszenen den Büroalltag und die kollegialen Verflechtungen aus der Sicht einer einfachen Angestellten, einer Assistentin, die anfängt sich zu engagieren und aus ihrem Bürojob heraus Initiative zu entwickeln und zeigt die Schwierigkeiten und Diskriminierungen auf. Ich habe den Film mit Interesse gesehen. Die Laufwege in den modernen, gut ausgestatteten und eingerichteten, aseptischen Büroräumen wirken klaustrophobisch, eng, der Funktion, nicht dem Personal angepasst. Man zweifelt schnell, ob es in dem Arbeitsgefüge einen anderen "Spaß" geben kann, als die Häme bei mit belauschten Beziehungsstresstelefonaten des Vorgesetzten. Burnoutbedrohte Angestellte werken eifrig, erbringen Dienstleistungen, untermauern die hierarchischen Machtstrukturen ohne nennenswerte Anerkennung, ohne weitergehende Perspektiven. Wenn im privaten Bereich nicht ausgleichend Schönes, Erfreuliches vorhanden ist, eine glückliche Beziehung, ein leidenschaftswertes begeisterndes Hobby vielleicht, dann ist diese Existenz ein Scheißleben. cf. auch den filmbesprechungsblog unter: www.filmekommentieren.wordpress.com

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Author: Jonah Leffler

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